Samstag, 27. Oktober 2018

Wie alles begann


Wir schreiben das Jahr 1999. Ein kleines Mädchen wird in diesem Jahr fünf Jahre alt. Und es verändert sich.
In diesem Jahr, wird bei ihr und ihren beiden Geschwistern AD(H)S diagnostiziert. Das Aufmerksamkeits Defizit (Hyperaktivitäts) Syndrom.

(Anmerkung 2018: Heute nennt man es Störung und nicht mehr Syndrom)

Bei ihr wird ein Mischtyp fest gestellt, es hat also sowohl den "Träumertyp" als auch den so genannten "Zappelphilip" Typ. Mal überwiegt das Eine, mal das Andere.
Ihre Eltern haben gemerkt, wie sie sich während dem ersten Kindergartenjahr zwischen drei und vier Jahren begann zu verändern. Und von einem selbstbewussten und gut gelaunten Kind, zu einem unsicheren, unzufriedenen und nörgelnden Kind wurde.
Ihre Eltern wussten nicht was los war, sie konnten sich nicht erklären, wodurch diese massive Veränderung zustande kam.
Parallel zeigte das Mädchen Entwicklungsverzögerungen. Große Probleme mit der Feinmotorik, Schwierigkeiten mit dem Farben lernen. Es wollte lernen, aber es konnte sich mit 5 Jahren noch immer nicht die Farben merken. Ihre Entwicklung verlangsamte sich noch mehr und blieb am Ende quasie "stehen".
Durch die Diagnose ADHS bekamen sie und ihre Geschwister fortan Medikinet. Das im Grunde das Gleiche wie Ritalin ist. So nachvollziehbar die Debatte über Medikation im Kindesalter auch ist, für dieses Mädchen war die Medikation das Ticket in die Regelschule. Andernfalls wäre das Mädchen sicher auf einer Förderschule gelandet.
Lässt man all die Nebenwirkungen der Medikamente ein Mal ganz außer Acht, war das Medikinet für sie, sowie für ihre Geschwister eine große Hilfe um in der Schule bestehen zu können. Oder eher funktionieren zu können.
Das kleine Mädchen wollte lernen, es konnte es kaum erwarten endlich in die Schule zu kommen und lesen und schreiben zu lernen. Deshalb spielte es auch immer mit den dicken Märchenbüchern, tat so als könne sie schon lesen und würde etwas sehr wichtiges lesen.
Es war wissbegierig und hatte so viele Fragen zu allem. Zu Tieren, zur Natur, zu Menschen, zu Autos, zu Wasserhähnen und wo eigentlich das Wasser her kommt und wo es dann hin geht wenn es in den Abfluss läuft. Wie der Mensch entstanden ist oder der Frage "Was war zuerst da, das Ei oder das Huhn" mit deren Beantwortung sich das Mädchen zum Verzweifeln brachte, weil es keine Antwort finden konnte. Ebenso wenig konnte es eine Antwort auf die Frage finden, was denn der Sinn des Lebens sei, wieso sie denn überhaupt lebte, wieso die anderen Menschen lebten. Wie es sein konnte, dass etwas unendlich lang, breit, hoch und tief ist, wie das Universum. Wieso es regnete und wo das Wasser überhaupt her kommt. Wie Wasser entsteht und so weiter. Ja dieses kleine, junge Mädchen war schon sehr früh ein kleiner Philosoph und wurde mit vielen Überlegungen allein gelassen. Wohl seine Mutter nicht realisierte, wie ernsthaft sich das kleine Mädchen in ihrem Kopf mit diesen Themen befasste und so manches Thema wie der Sinn des Lebens oder wo der Mensch denn her kam sie zum Verzweifeln brachte.

(Zwischenbemerkung: Man bemerke, das Kind war zwischen 4-6 Jahre alt, hatte Entwicklungsverzögerungen und AD(H)S. Dumm war es allerdings ganz und gar nicht.)

Wohl können sich viele gar nicht vorstellen, dass Kinder im Kindergartenalter, womit sie bei manchen noch als "Kleinkind" gelten, sich solche tiefgründigen Gedanken machen können.
Einer dieser tiefgründigen Gedanken war, dass das kleine Mädchen immer wieder gar nicht mehr auf der Welt sein wollte. Wenn ihm alles zu viel wurde, die Gefühle sie übermannten und sie nicht weiter wusste, keine Antworten fand und ihre Gefühle sie sich so schlecht fühlen ließen, dann wünschte sich das Mädchen, nicht mehr auf der Welt zu sein. Es wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es dafür sterben müsste. Es wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht ein Mal, dass jeder Mensch ein Mal sterben muss. (Und ja, auch wenn das für Ältere ein selbstverständliches Allgemeinwissen ist, ist das für junge Kinder keine Selbstverständlichkeit. Schließlich wird man nicht mit dem Wissen geboren, eines Tages sterben zu müssen.)
Es wünschte sich einfach an einen Ort, von dem es der Meinung war, dass es diesen nicht auf der Erde gibt.
Wer sich jetzt das Paradies vorstellt, liegt falsch. Der Ort, den sich das Mädchen vorstellte, war das Nichts. Es war dunkel um das Mädchen, man sah keine Wände, keine Tür, es gab kein Licht. Nur das Mädchen konnte sich von Außen sehen, wie es mit angezogenen Beinen da saß. Und es fühlte sich seltsamer Weiße mit dieser Vorstellung gut. Es wünschte sich an diesen Ort. Möglicher Weiße entstand dieser Ort aus den Bildern, die sie in einer Dokumentation über das Weltall gesehen hatte. In eben dieser, in der sie auch lernte, dass das Weltall unendlich war.
Trotzdem ein sehr untypischer Ort an den sich ein Kind wünscht.
Und dieses Kind, dieses kleine Mädchen, das war ich.
Wie es mit dem kleinen Mädchen - also mit mir - weiter geht, kannst du in diesem Blog lesen.